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Systemrelevant Folge 246 Arbeitszeitdebatte Kohlrausch Lott Podcasts

Systemrelevant Podcast: Mythos „faule Deutsche“: Arbeitet Deutschland zu wenig?

Die Arbeitszeit-Debatte kocht hoch. Häufig wird gefordert, dass Menschen in Deutschland mehr arbeiten müssten. Wieso diese Forderung problematisch ist und was echte Lösungen wären, besprechen Bettina Kohlrausch und Yvonne Lott in einer neuen Folge.

Arbeiten wir in Deutschland wirklich zu wenig? WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch und Yvonne Lott, die Leiterin des Referats Geschlechterforschung am WSI, entlarven dieses aktuell vorherrschende Narrativ als zu undifferenziert und durchaus problematisch. Beide sind sich einig: Längere Arbeitszeiten allein führen nicht automatisch zu mehr Wirtschaftswachstum oder Produktivität. Im Gegenteil: Sie führen zu einer Überlastung der Beschäftigten, erhöhten Fehlzeiten und Burnout.

Ein zentraler Kritikpunkt der Expertinnen ist, dass Sorgearbeit nicht als vollwertige Arbeit anerkannt wird. Die Forderung nach mehr Vollzeitarbeit für Frauen ignoriert die enorme Doppelbelastung, der sie ausgesetzt sind, und würde diese nur noch verstärken.

Was wäre also am besten zu tun? Bettina Kohlrausch und Yvonne Lott fordern unter anderem:

  • Verlängerung der Elterngeld-Partnermonate: Dies soll Männer stärker in die Sorgearbeit einbinden und eine partnerschaftlichere Aufteilung fördern.
  • Anerkennung und Wertschätzung von Sorgearbeit: Es braucht ein Umdenken in der Gesellschaft und Politik, um die unsichtbare Arbeit in den Haushalten sichtbar zu machen und anzuerkennen.
  • Fokus auf Produktivität statt bloße Arbeitszeitverlängerung: Der Einsatz moderner Technik und eine bessere Arbeitsorganisation sind effektiver, um die Wirtschaftsleistung zu steigern, als Menschen einfach länger arbeiten zu lassen.
  • Pilotprojekte zur Viertage-Woche zeigen bereits, dass Produktivität und Mitarbeiterzufriedenheit nicht leiden, sondern steigen können.
  • Ein innovatives Konzept, das Yvonne Lott als vielversprechend hervorhebt, ist das des Deutschen Juristinnenbundes zu den Wahl-Arbeitszeiten. Dieses Modell würde Arbeitgeber gesetzlich dazu verpflichten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten flexible Arbeitszeitmodelle wie Homeoffice oder Gleitzeit anzubieten. So würde nicht nur die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert, insbesondere für Frauen mit Sorgeverantwortung, sondern auch die Zufriedenheit und Bindung an das Unternehmen gestärkt werden.

Letztlich läuft die Debatte um Arbeitszeit und Produktivität auf eine grundlegende Frage hinaus: Was ist Arbeit und welche Art von Arbeit wollen wir in unserer Gesellschaft anerkennen? Es gehe nicht nur darum, wie lange jemand arbeitet, sondern auch, was in dieser Zeit geleistet wird und wie die Gesellschaft die unterschiedlichen Formen von Arbeit bewertet.

Wenn ihr zusätzlich mehr zu den politischen Konsequenzen, wie etwa auch den Vertrauensverlust in die Politik, einem „Kulturkampf“ oder den Wählerinnenzuwachs der AfD erfahren wollt, hört euch die neue Folge Systemrelevant an.

[Moderation: Marco Herack]

Alle Informationen zum Podcast

In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.

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